Freitag, 26. August 2016

Mompós (16. & 17. August)

Ich bin nach einer kurzen Nacht mit weiteren Klimaanlagenproblemen dann auch pünktlich fertig, aber der Pick-Up verspätet sich, weil mich der Fahrer nicht findet. 



Das lässt mich vermuten, dass die anderen Passagiere schon an Bord sind und dass mir eine sehr unbequeme Fahrt bevorsteht. Und ich täusche mich nicht. Ich bekomme den mittleren „Sitz“ auf der Rückbank zwischen zwei Damen, die gut im Futter sind. Kalt wird mir so trotz der arktisch eingestellten Klimaanlage jedenfalls nicht. Jede Minute ist eine Tortur, in immer schnellerer Folge krampft meine Beinmuskulatur, alles tut weh und als wir nach zwei Stunden eine Pause machen, komme ich schier nicht mehr aus der Kabine. Das entgeht dem Fahrer nicht und er sieht meine Narbe am Knie und er schließt, dass das wohl die Ursache für mein schmerzverzerrtes Gesicht im Rückspiegel gewesen ist. Ich widerspreche nicht direkt, meine aber, bis zur Fähre halte ich noch durch. Dann die Hiobsbotschaft: es gibt mittlerweile eine durchgängig asphaltierte Strecke mit Brücke… verfluchter Fortschritt! Darauf werfe ich erst einmal eine Ibu 600 ein. Anscheinend hat der Fahrer aber mit den Passagieren gesprochen und die zierlich-handlich kompakte Dame vom Vordersitz tauscht mit mir. Jackpot! Ich kann mich bewegen und habe fast sowas wie eine bequeme Fahrt. Die Dame fühlt sich hinten anscheinend auch wohl, denn sofort beginnt hinten ein ausführlicher (und nicht immer ganz wohlwollender) Kaffeeklatsch über Momposiner, die nicht im Pick-Up sitzen. So hält sich jedenfalls mein schlechtes Gewissen in Grenzen. Und auf einmal fühlt sich die Fahrt gar nicht mehr so lange an – und es sind auch nicht mal mehr 5 Stunden von Cartagena nach Mompós. Da habe ich früher einige Stunden mehr gebraucht. Vor dem Bioma Boutique Hotel steige ich frisch (und gut gekühlt) aus und werde von der Rezeptionsdame Ruby sehr herzlich begrüßt und bekomme sofort ein Begrüßungsbier bevor ich zu meinem Zimmer gebracht werde. Das Bioma ist immer noch so herrlich wie vor vier Jahren. Ich habe definitiv das Zimmer mit dem kürzesten Weg zum Pool – in der Gluthitze Mompós ein nicht zu unterschätzender Standortvorteil. Den ich auch gleich nutze. Ich dümple eine ganze Weile im pritschelwarmen Wasser des Pools. Aber nur so lässt es sich in der Sonne aushalten. 





Dann kommen Gerardo und Rosalba, die Besitzer des Bioma, die sich noch genauso gut an mich erinnern wie ich mich an sie. Klar, dass wir uns nach einer sehr herzlichen Begrüßung erst einmal in aller Ruhe unterhalten bevor ich mich dann doch hinaus in die Hitze wage. 

Schnell stelle ich beruhigt fest, dass trotz ein paar städtebaulicher Projekte Mompós sich treugeblieben ist. Eigentlich ist Mompós gar kein Ort, viel mehr ein Zustand, ein Lebensgefühl. Es ist die stadtgewordene Entschleunigung, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Das ist sie natürlich auch in diesem entlegenen Winkel der Welt nicht – in den Häusern stehen Flatscreen-TV und auch in Mompós sind die Smartphones mittlerweile bei der großen Mehrheit angekommen. Der große Unterschied ist aber, dass die Leute trotzdem lieber von Angesicht zu Angesicht miteinander reden und die Handys dabei unbeachtet in der Hand halten als starr auf den Monitor zu schauen. Selbst die Jungen! Die meisten Menschen grüßen mich mit einem freundlichen Lächeln. Der Zauber von Mompós, ich bin ihm sofort wieder erlegen. Mompós, das sind alte Männer, die mit nacktem Oberkörper am Türstock der immer offenen Haustüre lehnen und schauen was draußen so alles (nicht) passiert, Frauen, die im Schatten von Sonnenschirmen oder Hauseingängen plauschen, Männer, die auf Rollern, Fahrrädern oder Motorrädern sitzen und – meist in Gruppen und schweigsam – aus dem Schatten dem gemächlichen Treiben zusehen. Die Kinder sind in der Schule und verpassen nichts. Gegen Mittag flüchtet sich wer kann ins kühle(re) Haus, alle anderen drängen sich im raren Schatten, die Zeit bleibt für ein paar Stunden stehen, wahrscheinlich, weil auch die Uhren diese infernalische Hitze nicht aushalten. Damit es auch in Zukunft noch Momposinos gibt, legen so gut wie alle Männer zotteliges Kunstfell auf die Sättel ihrer zweirädrigen Gefährte und schützen somit die Familienjuwelen davor zu kochen. Die zentrale und wunderschön renovierte Plaza de la Concepción ist mittlerweile schöner denn je, denn mittlerweile ist auch der herrliche alte Markt mustergültig renoviert – gerade noch vor dem endgültigen Verfall! Die Straße direkt am Fluss wurde zu einer hübschen Promenade umgestaltet, doch in der prallen Mittagssonne ist außer mir kaum einer so blöd, das Haus zu verlassen. Und auch flüchte mich in den Schatten und trinke einen eiskalten Corozosaft auf der Plaza.






Allzu lange bin ich aber auch nicht unterwegs, dann zieht es mich verschwitzt aber sehr zufrieden erst einmal zurück zum Pool. Während ich ausgiebig plantsche kommen Rosalba und Gerardo zum Mittagessen und wir unterhalten uns ausgiebig bis es kurz vor drei Zeit wird für meinen nachmittäglichen Ausflug in die Welt der großen Sümpfe. Wie ich erfahre mit Fredy López, der mir schon die beiden Male zuvor diese ganz eigene Welt gezeigt hat. 

Ich treffe ihn an der neuen Anlegestelle am alten Markt und dann geht es auch schon los. Zusammen mit ein paar anderen Gästen (einer französischen Familie und einem Japaner) steigen wir ins Boot und fahren ein paar Meter auf dem Brazo Mompós, einem Seitenarm des mächtigen Río Magdalena. Dann legen wir auf dem anderen Ufer an. Das kenne ich noch nicht - sonst waren wir immer die ganze Zeit auf dem Boot. Das geht aber derzeit nicht, weil das der Fluss und die Kanäle nicht genug Wasser führen. Also steigen wir in der Siedlung El Horno um auf´s Mototaxi und fahren auf einer staubigen Piste vorbei ein Sumpfwiesen, auf denen Ceburinder grasen und in deren Tümpeln sich Schweine mit Hingabe suhlen. Nach gut 10 Minuten erreichen wir den Eingang in die Lagune und steigen wieder um auf´s Boot, das mittlerweile von zwei Jungs dorthin gebracht wurde. In schneller Fahrt geht es hinauf auf die große Lagune bis zu einer Insel, auf der Tausende von krächzenden Kormoranen in den Bäumen sitzen. Fredy erklärt uns, dass der Kot der Vögel die Bäume tötet und auch rundherum nichts mehr wachsen lässt. Als Fredy dann mehrere laute Rufe loslässt, erheben sich die Vögel in einer großen Wolke aus dem Geäst und landen aufgeschreckt auf der Lagune. Wir fahren weiter zu einer anderen Insel, auf der wir auch landen, und Fredy zeigt uns einen Greifvogel, der typisch ist für die Gegend und zeigt uns den Hof einer Familie, die hier in einfachsten Verhältnissen lebt. Dann geht es zurück zum Kanal, wo bereits das Mototaxi auf uns wartet. Auf der Fahrt zurück zum Brazo Mompós besorgt Fredy uns noch eine lokale Süßigkeit aus Yucca und Kochbanane. Gewöhnungsbedürftig, aber essbar. Ich finde Schokolade aber eindeutig besser. Auf dem Fluss zeigt Fredy uns noch einige Vögel und Leguane, die auf den Ästen der Bäume in der Sonne liegen. Zu dumm, dass ich mein Zoomobjektiv im Hotel vergessen habe… Auch ein paar Eisvögel kriegen wir zu sehen. Dann wird es Abend und die untergehende Sonne zaubert ein Farbenspiel auf Himmel und Fluss, eingerahmt von den schwarzen Silhouetten der Bäume. Schließlich erreichen wir Mompós und nach einem längeren Gespräch mit Fredy gehe ich zum Hotel und springe wieder in den Pool. Über mir das Kreuz des Südens. Das ist Leben!












 













Und es wird noch besser – um 19:30 Uhr gibt es Abendessen. Vor vier Jahren habe ich hier bereits lecker Fisch gegessen. Ein Fisch namens Pacora in Knoblauchöl. Und Don Gerardo hat sich daran erinnert, dass ich damals so begeistert war und mir gleich mitgeteilt, dass es den Fisch immer noch gibt. Natürlich habe ich gleich für abends bestellt und so erwartet mich ein köstliches Festmahl mit Empanadas als Vorspeise, Pacora mit Yucca und Patacón und zum Abschluß Papayagelee und eingelegte süße Limetten. Und dazu Corozosaft. Ich bin im siebten Himmel und danach pappsatt.





Laut Reiseführer würde nach der lähmenden Hitze des Tages nachts das Leben auf den Straßen toben. Das wäre mir zwar neu, aber gut, schauen wir einfach mal. Die Hauptstraße liegt weiter wie ausgestorben da. Aber wer weiß, vielleicht auf der Plaza de la Concepción? Da sitzen tatsächlich 5-6 Leutchen in den typischen geflochtenen Schaukelstühlen und spielen Schach. Die (wenigen) Bars und Restaurants sind verwaist. Ich setze mich auf einen der vielen leeren Stühle und bestelle eine sehr leckere und erfrischende Limonada de Coco und danach ein Bierchen. Die Bedienungen sind wahnsinnig lieb und herzlich und so genieße ich das Nachtleben von Mompós – das eigentlich nur aus mir zu bestehen scheint. 





Zurück im Hotel gehe ich wieder in den Pool und bald leisten mir Italienerinnen Gesellschaft. Heute ist eine größere italienische Reisegruppe angekommen. Wir unterhalten uns nett in einer interessanten Mischung aus Englisch, Italienisch und Spanisch. Dann ziehe ich mich zurück, denn nach dem langen Tag bin ich ordentlich müde. Noch eine ausgiebige Dusche in der stylischen Badlandschaft und Fernsehen, dann schalte ich das Licht aus und schlafe sofort ein.
Morgens um 6 reißen mich die Italiener aus dem Schlaf, die sich beim Frühstück laut unterhalten. Na, grazie mille… Aber geschlafen habe ich bis dahin gut. Ich drehe mich einfach noch ein paar Mal um schlafe tatsächlich noch einmal kurz ein. Das Frühstück ist hervorragend mit Saft, Obst und Rührei mit Arepas. Ich fühle mich ausreichend gestärkt für den Tag, gehe aber noch in den Pool bevor ich wieder durch Mompós streife. Ziel des Morgens ist der Friedhof, der eine ganz eigene Stimmung hat. Ich gehe aber nicht den direkten Weg, sondern mache einen Schlenker hinab zum Markt, wo die Metzgereien das Fleisch am Wegesrand hängen haben. Auf dem Platz der rot-weißen Kirche San Francisco setze ich mich in den Schatten und höre dem Unterricht in der Grundschule zu. Mittlerweile ist das fiktive Quecksilber schon wieder auf über 40°C geklettert. Entsprechend gemächlich schlendere ich zum Friedhof, dem Ort, an dem das Leben an die Ewigkeit grenzt, wie eine Inschrift im Portal deutlich vor Augen führt. 






















Der Friedhof ist noch immer ein wildes Durcheinander von Gräbern aller Art. Neue Mode scheint zu sein, den Grabstein mit einem Foto des Verstorbenen zu bedrucken. In der kleinen Kapelle haust wie eh und je eine kleine, ziemlich räudig aussehende Katzenfamilie. Nach meinem kurzen Besuch auf dem Gottesacker setze ich mich in den Schatten und genieße still vor mich hin. Kurze Zeit später trifft die italienische Reisegruppe mit ihrer einheimischen Reiseführerin Ingrid mit großem Hallo auf dem Friedhof ein. Die Italienerinnen vom Pool begrüßen mich wie einen alten Bekannten und Ingrid, die auch Deutsch spricht, unterhält sich mit mir. Sie ist begeistert, dass ich Mompós genauso liebe wie sie, denn vielen (vor allem italienischen) Touristen fehlen Sehenswürdigkeiten. Sie sehen nicht, dass das Lebensgefühl von Mompós die größte Attraktion ist. 








Und das erkunde ich weiter, bei einem kühlen Lulosaft an der Plaza de la Concepción.


Danach ist es wieder Zeit für die Siesta mit Gesprächen mit Don Gerardo und Rosalba und dem obligatorischen Poolbesuch bis es langsam etwas weniger heiß ist. 


Danach drehe ich ziellos meine Runden in der Stadt und setze mich schließlich vor die Kirche Santa Bárbara. Früher war die einmalige Barockkirche knallgelb, mittlerweile ist die Farbgebung deutlich gedeckter. Schade eigentlich. Mit dem Abend erwacht das Leben in Mompós – Kinder kommen aus der Schule und kicken auf jeder freien Fläche, unter anderem auch vor Santa Bárbara. 















Als es langsam dunkel wird, wobei das hier nicht passt, denn eigentlich wird es rasend schnell dunkel, trinke ich noch eine Limonada de Coco auf der Plaza und danach spaziere ich zurück zum Hotel.


Dort angekommen entscheide mich für ein Bad im Whirlpool auf dem Dach. Wilmar, der gute Geist des Hauses, schaltet für mich die Beleuchtung ein und dann genieße ich die Stille – bis 4 Italienerinnen kommen. Dann ist es mit der Stille vorbei, aber dafür entwickelt sich eine nette mehrsprachige Unterhaltung mit Blick auf die Dächer von Mompós und die Zeit bis zum Abendessen vergeht schnell. Heute gibt es Pacora in Currysauce und zuvor wieder Empanadas. Getränk der Wahl ist selbstverständlich wieder frischer Corozosaft und als Nachtisch gibt es einen Kuchen. Wieder einmal köstlich. Beim Abendessen leisten mir Rosalba und Gerardo gute Gesellschaft. 


Ich werde herzlich verabschiedet und drehe dann noch eine Runde. Die Plaza ist heute noch leerer als gestern. Ich biege ab in die Uferpromenade und gönne mir an meinem letzten Abend in Mompós am Fluss einen Mojito


Dann wird es Zeit, zurück zum Hotel zu gehen und meine Sachen zu packen. Um 5:00 werde ich nämlich abgeholt.

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